Die “S.NET community” veranstaltet jährlich eine Konferenz, in der sie sich mit ethischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Implikationen neuer Technologien auseinandersetzt. Der Themenbogen spannt sich von Laborfleisch und Marktakzeptanz bis hin zum sozialen Status künstlicher Intelligenz. Andreas Huber vom Institut für Rechtswissenschaften nahm heuer daran teil.

11. Oktober 2016, Universität Bergen, Norwegen: Die “Society for the Study of New and Emerging Technologies (S.NET)” trifft sich zu ihrer achten jährlichen Konferenz. In den nächsten drei Tagen diskutiert die “S.NET community“ über das vielschichtige Verhältnis von Technologie und Gesellschaft. Aus dem Blickwinkel verschiedenster Disziplinen analysieren WissenschaftlerInnen Zukunftsszenarien sowie damit verknüpfte ethische, rechtliche und gesellschaftliche Folgewirkungen. Science-Fiction und historische Ereignisse können hierfür eine wertvolle Diskussionsgrundlage liefern. Look out! The flesh! It's reachin' Die Radiosendung “Lights Out“ war eine erfolgreiche Horror-Hörspielserie in den 1930er Jahren. Die legendäre Folge “Chicken Heart“ erzählt von einem fehlgeschlagenen wissenschaftlichen Experiment. Ein künstlich am Schlagen gehaltenes Herz beginnt unkontrolliert zu wachsen und droht ganz New York mit seinem Fleisch zu verschlingen. Aus der selben Zeit stammt ein visionärer Aufsatz von Winston Churchill, in dem er schreibt: “We shall escape the absurdity of growing a whole chicken in order to eat the breast or wing, by growing these parts separately under a suitable medium. Synthetic food will, of course, also be used in the future.” Tatsächlich ist Churchills Prognose mittlerweile keine Science-Fiction mehr. Ein niederländisches Forschungsteam präsentierte bereits 2013 den ersten vollständig aus Laborfleisch bestehenden Burger. Dieses sogenannte “In-vitro-Fleisch“ könnte den globalen Ressourcenverbrauch sowie die Emission von Treibhausgasen drastisch reduzieren. Fraglich ist, ob die VerbraucherInnen ein solches Produkt annehmen werden oder die Vorstellung von künstlich gezüchtetem Fleisch zu abschreckend wirkt. Fruit of the power-loom Im April 1826 brachen in England die “power-loom riots“ aus. Durch die Einführung des mechanischen Webstuhls verloren die traditionellen Weber ihre Einkommensquelle. Sie revoltierten und zerstörten über eintausend mechanische Webstühle. Die Mechanisierung der Textilindustrie ist ein Lehrbuchbeispiel für “creative destruction“. Erfolgreiche neue Produktionsverfahren und Erzeugnisse verdrängen alte Strukturen und zerstören sie schließlich. Dies kann sich gravierend auf den Arbeitsmarkt auswirken. Selbstfahrende Kraftfahrzeuge, Industrie 4.0 oder digitale Anwälte werden die Arbeitswelt, wie wir sie kennen, massiv verändern. Diese Entwicklungen haben das Potential, “schöpferisch zu zerstören“. Es stellt sich die Frage, was mit der freiwerdenden Arbeitskraft geschehen soll oder ob Arbeit überhaupt neu zu definieren ist. You are my creator, but I am your master Mary Shelley veröffentlichte 1818 den Roman “Frankenstein“. Sie erzählt darin die Geschichte des ehrgeizigen Wissenschaftlers Viktor Frankenstein, der einen künstlichen Menschen erschafft. Dieses Wesen sucht erfolglos seinen Platz in der Welt und wendet sich letztlich gegen den eigenen Schöpfer: “Remember, thou hast made me more powerful than thyself; my height is superior to thine, my joints more supple. […] You are my creator, but I am your master; -- obey!" Das Thema des künstlichen Menschen zieht sich durch die Kulturgeschichte wie ein roter Faden.  Es findet sich schon in der jüdischen Legende über den “Golem“. Durch ein mystisches Ritual wird eine menschliche Lehm-Figur zum Leben erweckt. Der Golem übernimmt schwere körperliche Arbeiten und bewacht nachts das jüdische Viertel. In den Erzählungen gerät er häufig außer Kontrolle und entwickelt sich zur Gefahr für sein Umfeld. Moderne Adaptionen des Stoffes sind etwa die Filme “Ghost in the Shell“ (1995) oder “Ex Machina“ (2015). Der Golem begegnet uns nunmehr als humanoider Roboter oder Cyborg. Laut führenden Experten auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz (KI) könnte es bereits in 20 bis 30 Jahren KI auf menschenähnlichem Niveau geben. Stephen Hawking warnt vor der Möglichkeit, dass KI sich zu einer Gefahr für die Menschheit entwickelt. Er ist Mitglied des Instituts „Future of Life“. Ziel dieser Organisation ist es, Forschung zu unterstützen, die den gesellschaftlichen Nutzen von KI maximiert. Die Geschichten über den künstlichen Menschen mahnen eine verantwortungsbewusste und antizipative Forschung ein.  Es ist zu klären, welche Aufgaben Maschinen mit KI in unserer Gesellschaft übernehmen und welchen Platz sie darin einnehmen sollen. Negotiating authority: Who decides? “Society shapes technology and technology shapes society.” Laborfleisch, fortschreitende Automatisierung der Arbeitswelt und künstliche Intelligenz können und werden unsere Gesellschaft verändern. Es handelt sich jedoch um keine Einbahnstraße. Technologische Entwicklung wird in unserer Gesellschaft ausverhandelt und gesteuert. Wer soll nun aber konkret darüber entscheiden, ob und in welcher Weise wir Laborfleisch züchten, wie wir mit “creative destruction“ umgehen und welche Formen von künstlicher Intelligenz wir erschaffen? Sollen es unabhängige Expertengremien, der demokratisch legitimierte Gesetzgeber, die Öffentlichkeit als Ganzes oder die einzelnen WissenschaftlerInnen im Labor sein? Die Entscheidungen werden jedenfalls fallen. Zu beantworten ist, inwiefern wir den Prozess der Entscheidungsfindung bewusst steuern wollen. Die Themen der “S.NET community“ bilden ebenso den Kern der Forschungsarbeit des Instituts für Rechtswissenschaften an der Universität für Bodenkultur. Zentral ist dabei die Fragestellung, welche rechtlichen Instrumente – wie z.B. Forschungsverbote, Ethikklauseln, Kennzeichnungspflichten oder Verhaltenskodizes – effiziente und wirksame Steuerungsmittel sind. Wir werden auch in den nächsten Jahren ausreichend Diskussionsstoff haben. (Andreas Huber)


28.10.2016